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Pilgern ist kein Honigschlecken

August 2014, Bericht und Fotos von Horst Bendix

Der Hechinger Klaus Riester und Horst Bendix aus Jungingen bewältigten die letzten rund 600 Kilometer des Camino Frances in vier Wochen von Burgos im Nordwesten Spaniens bis nach Santiago de Compostela und Finisterre – Endlich am Ziel ihrer Träume

Nach rund 600 Kilometern Fußmarsches sind die Hosen durchgewetzt, Trekkingsocken oder Absätze von den Schuhen durchgelaufen, was sich liest wie der Ausgang eines dramatischen Ereignisses, sind aber nur wenige Anhaltspunkte eines Abenteuers, das

Klaus Riester und Horst Bendix ein Leben lang nicht mehr vergessen werden, denn Pilgern auf dem letzten Abschnitt des Camino Frances war bei weitem kein Honigschlecken.

„Buen Camino“ – einen guten Weg – haben die beiden hundert Mal oder vielleicht tausend Mal gehört, emotionale Augenblicke erlebten sie in der Kathedrale von Santiago de Compostela, als bei der Pilgermesse zwei junge, hübsche Südkoreanerinnen, die immer wieder die Wege von Riester und Bendix kreuzten, auf sie zukamen und inmitten der großen Menschenmassen eine herzliche, freundschaftliche Umarmung stattfand. Ja, das waren alles großartige Momente und Erlebnisse, sozusagen Lebensfreude pur, die man niemandem wirklich beschreiben kann.

So unkompliziert und unspektakulär sich das alles anhören mag, war es aber bei weitem nicht, denn die vielen Bergetappen, die anstrengenden Auf und Ab während des stundenlangen Pilgerns oder die endlos weiten Etappen bis zu 35 Kilometern ohne ein kleines Dorf, ohne eine Bar und ohne etwas Wasser zu kaufen, gingen an die Substanz und zehrten an den Kräften.

Man fiel abends manchmal buchstäblich todmüde aufs Nachtlager, denn am anderen Morgen um 6 Uhr begann ein neuer, hoffnungsvoller Tag. Aber man wollte es ja so! Und man hatte durchweg sonniges Wetter die ganzen vier Wochen mit 22 bis 25 Grad, nur die letzten drei Tage regnete es draußen am Atlantik mit stürmischer See, hohen Wellen und einer Brandung, bei der man die ungeheure Kraft des Meeres spürte oder kennen lernte, besonders am Nullpunkt in Finisterre, am Ende der Welt beim legendären Leuchtturm.

Das letzte Abenteuer der beiden aus dem Mittelbereich Hechingen begann in Burgos, der Residenzstadt mit dem herausragenden Bauwerk der Kathedrale de Santa Maria. Schon in den frühen Morgenstunden des 2. August ging es durch die menschenleere Stadt, an jeder Straßenecke fand man einen Frühaufsteher, der den beiden den Weg am Fluss entlang wies. Da hatte Pilgerfreund Klaus Riester ein gutes Gefühl, das alles gut werden würde, und er behielt bis zum Schluss auch recht.

Dann ging es hinauf auf den so genannten „Tafelberg“ bei Hornillos del Camino, durch das weite, sanft gewellte Hochland, durch die Kornkammer Spaniens, die von zahlreichen Getreide- und Sonnenblumenfelder gesäumt war. Nach einer Woche war Leon erreicht, die letzte Großstadt und kultureller Höhepunkt vor Santiago mit lichten, Gelb- und Ockertönen gehaltenen Altstadt, wo man von freundlichen Helfern des Tourismusbüros empfangen wurde.

Die Großstadthektik war vergessen, als man ein wunderbares Bergland in einer herrlichen Weingegend betrat. Von Astorga zog sich der lange Weg immer höher hinauf bis zum „Cruz de Ferro“, das eine der eindrücklichsten Stellen des ganzen Camino bildet. Aus einem großen Steinhaufen mit unzähligen Motiven stand ein fünf Meter hoher alter Eichenstamm auf dessen Spitze ein eisernes Kreuz steckte. Natürlich wurde an dieser Stelle der Stein aus dem Killertal dort abgelegt. Man wurde nachdenklich, als man an die Pilger früherer Zeiten erinnerte, als die beiden nach El Acebo einbogen.

Über Ponferrada, Villafranca, Mélide, um nur einmal wenige Städte in Gallizien zu nennen, erreichte man die polnische Pilgerherberge auf dem Monte do Gozo kurz vor Santiago. Seit 1993 erinnert ein großes Denkmal an den Besuch des polnischen Papstes Paul II.. Und dann war es nicht mehr weit bis Santiago. Zunächst reihte man sich in die internationale Pilgerschar ein, um das „Credenciale“ im Pilgerbüro mit stolz in Empfang nehmen zu können, dann war Pilgermesse, unendliche Dankbarkeit machte sich breit, man war den Tränen nahe.

Und als man die enge Treppe im Chor der mächtigen Kathedrale von Santiago de Compostela mit unzähligen Pilgern erklommen hatte, und so wie unsere Kanzlerin Angela Merkel dieser Tage bei einem Regierungsbesuch diesen Apostel Jakobus umarmt hatte, war die eigentliche Pilgerreise beendet.

Die Leute am Rande des Jakobsweges nannten jeden Wanderer auch Pilger, ob er jetzt Gott versprochen hatte oder der Muttergottes von Jungingen, ob er Mountainbiker oder Velofahrer war oder einfach Sinnsucher, der historische Jakobsweg lebt in den Herzen der beiden weiter. Am Rande des 600 Kilometer langen Weges standen all die bereit, die den Pilgern etwas geben, und auch die Geschäfte machen wollten. Ja, so ist eben heute!

In aller Frühe am Morgen des 28. August ging es zum Flughafen in der nordwestlichsten spanischen Stadt La Coruna am Atlantik mit Zwischenlandung in Barcelona. Hier bot sich ein wunderbares Treffen mit der Jahrgängerin Margot Bosch an, die zwischenzeitlich ihren Wohnsitz in Casteldefels seit über 40 Jahren hat.

Die Einladung zu Kaffee und Smaltalk bestimmten die nächsten Stunden, ehe man den Flieger bestieg, der uns wieder ins heimatliche Stuttgart brachte und von dort mit dem Pendolino ins allzu bekannte schwäbische Hechingen. Dort warteten bestimmt zehn Autos, aber man wollte den letzten Weg zu Fuß machen, und der erste Gang führte zur Muttergottes von Jungingen, so wie es versprochen war.

Wie sagte doch so schön und auch etwas nachdenklich Pilgerfreund Klaus Riester zum Schluss der endlos langen Wanderung: „Der Camino gibt Dir, was Du brauchst, nicht, was Du Dir wünscht…“

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